Lebensqualität  Destination 

17.12.2020
Dipl.-BW (FH) Alexander Seiz

Dipl.-BW (FH) Alexander Seiz

Geschäftsführer

Stuttgart, Deutschland

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Intelligente Steuerung von Besucherströmen - Ziele, Instrumente, Best-Practice

Besucherlenkung ist – nicht erst seit Corona – in aller Munde. Ausgehend von Fragestellungen des Phänomens „Overtourism“ hat Kohl > Partner gemeinsam mit Studenten der HfWU Nürtingen-Geislingen aktuelle Beispiele und Instrumente der Besucherlenkung erarbeitet. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des TMBW Tourismustags 2020 vorgestellt.

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„I’m not a tourist, I live here“, „Wo Urlauber gar nicht mehr so erwünscht sind“ oder „Tourists go home“ sind nur einige Statements von Medien und vor allem Einheimischen im Rahmen von Overtourism-Debatten, die in den vergangenen Jahren verstärkt aufgetreten sind. Während diese Phänomene bisher vor allem mit Städten wie Barcelona, Venedig oder Amsterdam in Verbindung gebracht wurden lässt sich inzwischen beobachten, dass auch verstärkt regionale Hotspots und ländliche Gebiete damit konfrontiert werden – denken wir zum Beispiel an den Königssee in Berchtesgaden, Schloss Neuschwanstein oder, dieses Jahr durch die Corona-Pandemie verstärkt, an die Strände der deutschen Küsten. Die Auswirkungen von zu vielen Besucher:innen sind vielfältig und betreffen Einwohner:innen sowie Gäste gleichermaßen. Zu nennen sind hier beispielhaft die Überlastungen vorhandener Infrastrukturen, das hohe Verkehrsaufkommen, Verschmutzung und Zerstörung der Natur. Einheimische haben das Gefühl, immer weiter aus ihrem Alltagsraum verdrängt zu werden, Nahversorgung und Wohnraum schrumpfen zugunsten von Gästen. Aber auch Gäste fühlen sich dann häufig nicht mehr willkommen, vermissen die Authentizität des Ortes und fühlen sich selbst durch andere Gäste gestört – ein Teufelskreis.

Der Druck durch solche Szenarien ist häufig die Basis für die Ergreifung von Maßnahmen zur Lenkung und Steuerung von Besucherströmen. Man erhofft sich durch die räumliche, zeitliche und quantitative Steuerung der Gäste negative Auswirkungen und störende Einflüsse auf die Destination vermeiden bzw. vermindern zu können. Sinnvoll sind solche Maßnahmen jedoch auch für Destinationen, die (noch) nicht von Overtourism betroffen sind, denn aus diesen Maßnahmen können auch positive Effekte abgeleitet werden, so z.B. die Erhöhung der Aufenthaltsqualität für Besucher:innen und Einheimische, die Erschließung neuer Anziehungspunkte und damit verbunden eine breitere Verteilung der touristischen Wertschöpfung.

In vielen Destinationen werden bereits gezielte Maßnahmen(-pakete) umgesetzt, welche sich in die drei Kategorien harte, weiche und Infrastruktur-Maßnahmen einteilen lassen. Diese Kategorien sollen nachfolgend anhand exemplarischer Best-Practice-Modelle vorgestellt werden:

  • Unter harten Maßnahmen werden vorrangig Beschränkungen, Regulierungen sowie Ver- und Gebote zusammengefasst. Diese Maßnahmen sind meist als reaktiv einzustufen, um bestehende Problematiken schnell und effektiv anzugehen, häufig jedoch auf Kosten der Gästezufriedenheit. In Amsterdam versucht man, durch Verbote von Hotelneubauten und Beschränkungen der Airbnb-Kapazitäten das weitere Wachstum der Gästezahlen abzuschwächen. Vor Ort werden im Rahmen einer Kampagne gewisse Verhaltensweisen wie Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit mit empfindlichen Strafen belegt oder die beliebten „Bier-Bikes“ verboten. Ein weiteres Beispiel ist die peruanische Ruinenstadt Machu Picchu, in welcher nur noch ein gewisses Tageskontingent an Tickets zur Verfügung steht, welches zusätzlich an zwei Zeitfenstern gebunden ist. Dadurch soll das Kulturerbe vor weiterer Abtragung durch zu viele Besucher:innen geschützt werden. Noch extremere Maßnahmen ergriff Thailand an seinem Traumstrand Ko Phi Phi, der für mindestens drei Jahre für Besucher:innen komplett gesperrt bleibt, damit sich die zerstörte Korallenwelt von den Auswirkungen des Massentourismus erholen kann.
  • Weiche Maßnahmen zielen hingegen auf eine freiwillige Verhaltensänderung durch Information und Sensibilisierung sowie durch das Anbieten von (attraktiveren) Alternativen ab. Dazu gehören Instrumente wie Dynamic Pricing, wodurch Vergünstigungen zu bisher wenig ausgelasteten Zeiten (im Tages- oder sogar Jahresverlauf) angeboten werden, die Bereitstellung von (Echtzeit-) Informationen oder die Sensibilisierung der Gäste hinsichtlich ihres Verhaltens. Im Harz wird beispielsweise über themenspezifische Führungen sowie über Nationalpark-Ranger die Aufmerksamkeit auf die möglichen negativen Auswirkungen von falschem Verhalten gelenkt. Als Reaktion auf die steigenden Besucherzahlen an gewissen Hotspots in diesem Jahr gibt es verschiedenen Projekte wie den Strandticker in der Lübecker Bucht oder den Ausflugssticker in Bayern. Dieser stellt online Echtzeitdaten zu Auslastungen von Parkplätzen, Seilbahnen, Museen und Ausflugszielen in Bayern zur Verfügung. So kann der Gast selbst entscheiden, ob er seine Pläne ändert. Das bayerische Projekt bietet außerdem alternative Ausflugsziele an, um die Touristenströme noch weiter zu entzerren und neue Gebiete zu erschließen.
  • Als Infrastrukturmaßnahmen werden vor allem bauliche Maßnahmen bezeichnet, die bei der Lenkung und Steuerung der Besucherströme helfen können. Darunter Wegeleitsysteme sowie Beschilderungen, Aus- oder auch Abbau von Infrastrukturen. So baute Amsterdam den als Fotomotiv beliebten „I amsterdam“-Schriftzug ab, um der Ballung von Touristen auf dem Museumplein entgegenzuwirken. Stattdessen wird der Schriftzug nun an verschiedenen, eher unbekannten, Orten innerhalb der Stadt aufgebaut, um die Besucherströme auf diese Weise aktiv zu lenken. Aber auch die Beschilderung von Wanderwegen oder das Anlegen von Bohlenwegen, was beides vor allem in Naturschutzgebieten schon sehr häufig angewendet wird, dienen der Lenkung von Besucher:innen.

Grundlage für den Beschluss und die Umsetzung der Maßnahmen sollte eine Evaluierung der bestehenden Probleme sowie eine klare Definition der Ziele sein. Für ersteres ist es meist notwendig, die Besucherströme zu analysieren und auszuwerten, wobei vor allem digitale Tools zum Einsatz kommen. Neben den bereits genannten Beispielen sind vor allem Einrichtungen wie Museen oder Freizeitparks Vorreiter, da hier Maßnahmen auf einem eingegrenzten Raum realisiert werden können. So analysierte das Louvre die Bewegungsprofile seiner Besucher:innen anhand anonymisierter Bluetooth-Daten. In größerem Stil werden solche Daten durch videobasierte Personenzähler an den Zugängen zur Innenstadt bereits im kroatischen Dubrovnik erhoben.

Eine weitere Voraussetzung sollte die Partizipation verschiedener Anspruchsgruppen sein, z.B. aus der lokalen Bevölkerung, dem Handel oder dem Naturschutz, um gemeinsame Ziele festzulegen und Lösungen zu finden, die von möglichst vielen Parteien mitgetragen werden.

Generell ist festzuhalten, dass die Implementierung von Besucherlenkungsmaßnahmen in die übergeordnete Entwicklungsstrategie von Destinationen integriert werden muss, anstatt diese als losgelöste Projekte zu betrachten. Das übergeordnete Ziel muss dabei sein, den Tourismus langfristig für die Destination tragbar zu erhalten – sowohl für die Einheimischen als auch für die kulturellen und natürlichen Gegebenheiten vor Ort, was auch langfristig zur Zufriedenheit der Gäste beiträgt. Der Weg dorthin ist jedoch individuell und muss immer an die Anforderungen der Destination angepasst werden.

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